31 Oktober 2021

die unerwünschten Gefühle

 

 

Ich will mit dir über Gefühle sprechen. Denn jeder und jede hat Gefühle. Und wir teilen sie mit. Freude, Jubel, Erfolge, über Konzertkarten, wegen der Geburt des Kindes, Heiratsanträge und alles wird im Internet gepostet.

Was ist mit den anderen Gefühlen? Zorn, Trauer, Wut, Hass.

Ich habe den Eindruck, dass es diese Gefühle sind, die man besser nicht in Gesellschaft zeigt. nicht im realen Leben. Ich meine Gefühle die dich und mich überrollen und die schwer zu steuern sind. Die Gefühle, die nicht gezeigt werden dürfen, weil das Gegenüber damit überfordert ist. Die einmal geäußert, wie ein schuppig-warziges Etwas im Raum stehen. Mit glühenden Augen und merkwürdigen Geräuschen. Diese Gefühle, die uns Angst machen. Vielleicht sind sie ansteckend? Und es scheint nichts zu geben, was wir gegen sie tun können. Denn sie sollen nicht sein, zumindest nicht bleiben. Sie sollen nicht so nah kommen.

Ein Foto vom schuppig-warzigem Etwas- kurz gezeigt, nur ein Blick aus den Augenwinkeln- ist in Ordnung. „Aber um Himmels Willen, pack das Ding nicht aus und lass es im Zimmer frei“, denken wir.

 

Ich kenne Leute, die dauerhaft diese schuppig-warzigen Etwasse immer bei sich haben.

Ja, ja du kennst die Leute auch und die Etwasse, da muss ich dir nichts erzählen. Um meinem Anliegen Inhalt zu geben, lass uns die Etwasse beim Namen nennen. Trauer, Wut, Schmerz und dann noch der ganz böse Ficker Depression. Und nun gebe ich ihnen eine Geschichte, sozusagen ihre Existenzberechtigung. Trauer kommt und geht, es ist ok. Der Hamster ist tot und Trude ist traurig oder sie wurde Verlassen. Aber was ist mit der Trauer, die kommt und die bleibt. Vielleicht für längere Zeit oder auch für Immer. Trauer um den Tod eines geliebten Menschen, beste Freundi:nnen, Lebenspartner:innen und Kinder – schon auf der Welt oder noch nicht geboren. Du kannst nichts tun. Hier hilft kein „schau mal wie schön die Sonne scheint“ oder „du hast ja noch andere Kinder, für die musst du stark sein.“ Sie ist da, die Trauer. Und sie hat Schmerz und Wut gleich mitgebracht. Du bist jetzt im Raum mit diesen drei Viechern und du kannst sie nicht verjagen. Auch die, die sie mitgebracht haben, können nichts dagegen machen. Sonst hätten sie sie zu Hause gelassen.

Nur nicht hinsehen. Aber sie sehen zu dir hin. Du machst das Licht aus. Die Augen glühen, du hörst die Geräusche, grollen, schlurfen, als würde Wasser aus großer Höhe auf die Erde platschen. Eine unangenehme Situation, stockende Gespräch, die nur nicht in die Richtung der Trauer oder Wut gehen sollen. Du weist die Viecher verschwinden, wenn der Mensch, der sie mitgebracht hat geht – hoffentlich schnell. Dann kannst du das Licht wieder anmachen und leben wie vorher. 

 

Wenn du dir jetzt vorstellst, dass da noch einer ist, der alle übersteigt, sei froh, dass du das Licht ausgemacht hattest. Der Seelenficker Depression ist nicht nur größer und grausamer als die drei, er bringt die drei noch mit. Hier hilft kein Licht aus, kein ignorieren. Er ist eine seelische Naturgewalt, die wahrgenommen werden will. Eine sichere Abwehr oder Waffe gibt es nicht. Wenn Depression auf ihre stille Art laut ist, fühlst du sie. Wenn Depression nicht gehört wird, wird Trauer größer und Wut kommt hoch, Schmerz blutet still auf dem Boden. Sie nagt und kratz an dir. Und du denkst „Sie könnte auch bei mir einziehen, mein Leben beherrschen“.

Und jetzt stell dir vor du siehst nicht weg. Mutig betrachtest die ganze emotionale Höllenzirkustruppe. Vielleicht zollst Du ihnen sogar Respekt, weil sie eben da sind und weil sie hier sein dürfen- zusammen mit dem Menschen der sie mitgebracht hat. Sprich leise aber nenn sie beim Namen. Lass das Licht an. Versuch sie nicht zu zähmen oder zu bestrafen. Lass sie einfach dabei sein. Meistens rollen sie sich dann zusammen, werden ruhig. Und der Mensch der sie mitgebracht hat, weiß dass er jetzt in diesem Moment nicht allein ist und durchatmen kann.

24 Oktober 2021

Gefühle - Hirn - Körper

Gefühle. Alle Haben sie. Ich habe sie ständig. Und ich habe so viele Gefühle und sie wollen sich nicht in geordneter Reihenfolge fühlen lassen. Sie ploppen einfach zwischen mitten in den Alltag hinein und stören Abläufe, die ohne sie reibungslos laufen würden. Und mein Hirn, das unsortierte Ding unterstützt sie. Zumeist ist der Körper nur ein Mitläufer. Er macht was die Gefühl und Hirn sagen.
Auf dem Weg zu Arbeit, erinnere ich mich an das unschöne Gespräch mit Chantalle-Bernadette und sofort grätscht das Hirn rein und sagt, „das war genauso wie damals, mit sieben als Klaus-Friedrich dich vor allen bloßgestellt hat“. Die Gefühle erkennen ihren Einsatz und schwemmen die gute alte Scham hoch. Der Körper spielt mit. Das Herz klopft, es wird warm und das Gesicht rot. Scham will ich auf keinen Fall fühlen. Scham macht machtlos und klein und schutzlos. Hurra die Wut kommt um die Ecke und mein Gehirn schmiedet Rachepläne und Fantasien, was wir machen, wenn uns ähnliches nochmal passiert. Aber so will ich nicht sein. Also lenke ich mich ab, anstatt zu überlegen wie ich denn sein will.
Ich öffne Instagram und meine Gefühle springen an die Oberfläche, in der Geschwindigkeit in der mein Dauen skrollt und meine Augen die Stories aufnehmen auf. Charlotte Roche verkauft selbstgemaltes für viel Geld – Hirn denkt: weil ihr Name darauf steht. Gefühl: Neid und Bewunderung. Post gegen Zwangsprostitution, Hirn: krass. Gefühl: Trauer. Story: Twitterperlen. Hirn: geiler Spruch. Gefühl: Freude. Story: Böhmermann zur Buchmesse. Hirn: Nazis sind echt all over. Gefühl: Beklemmung. Lustige Memes zu „me too“. Gehirn: hierzu sollte ich auch mal schreiben Gefühl: Kämpferisch…. Endlos, bis der Bus anhält, hüpfen Gedanken und Gefühle durcheinander. Auf dem Weg versuche ich mich an eine Story zu erinnern. Ich will hier weiterdenken. Mein Gefühl sagt mir, da war was Wichtiges. Aber die Bilder, Sprüche, Videos flackern wild vor sich hin, schieben sich voreinander. Ich komm nicht mehr auf das Gesuchte.
Bevor ich mich hierüber richtig ärgern kann, schiebt sich Chantalle-Bernadette ins Rampenlicht der Gedanken und fordert die komplette Gefühlsaufmerksamkeit. Der Körper wird wieder heiß, der Rücken wird Schweißnass, die Fäuste ballen sich. In Ermanglung von Zeit für einen guten Racheplan schlägt das Hirn vor, sie einfach umzuhauen. Vielleicht könnte ich erklären, dass eine herzliche Umarmung daneben lief, wenn ich mit beiden Fäusten gleichzeitig zuschlage? Gefühl freut sich und fühlt sich schuldig. Der Gedanke wird verworfen. Beinchen stellen fällt auch flach, weil ich zu ungeschickt bin, sagt das Hirn. Gehirn erinnert sich an Hanni und Nanni. In den Büchern wurden Mädchen, die doof waren ignoriert. Die Fäuste öffnen sich.
Der Gedanke Chantalle-Bernadette und ihre Schneewittchenvisage zu ignorieren und nur auf direkte Ansprache, kurz und knapp zu reagieren, kein „Hallo“, kein „guten Morgen“,  reguliert die Schweißbildung, der Körper kühlt ab. Die Gefühle lachen wie eine glückliche Hexe die Schnewittchen-Chantalle-Bernadette, den Apfel andreht.
Tief in meine Rachegedanke versunken, gehe ich den Gang entlang. Ich werden kalt wie Eis sein, hart wie Teflon. Sie wird an mir abprallen, wie eine Schmeißfliege von der Fensterscheibe. „Guten Morgen La Mesii“. Schallt es mir entgegen. „Guten Morgen Chantalle-Bernadette“, sagt mein Mund, meine Hand wedelt winkend. Während ich an ihr vorbeigehe, ballt der Körper die Fäuste, der Magen zieht sich zusammen und das Gehirn erwacht aus der Starre. „Wir hätten sie besser umhauen sollen,“ nuschelt das Angstgefühl leise.


16 Oktober 2021

Ein Leben voll Freude und Spass


                   

Als Kind sind die Vorstellungen eines Erwachsenenlebens nur positiv. Das Groß sein ist verbunden mit einem Haufen Spaß und immerwährender Freude. Wenn ich groß bin, bleibe ich solange wach, wie ich will und esse nur Spaghettieis und Pizza. Zu trinken gibt’s ausschließlich Cola und ich kaufe mir nur Sachen, die Spaß machen.

Und genau so ist es. Ich kaufe mir nur geile Sachen und ich achte auch nicht aufs Geld. Weil ich einfach erwachsen bin. 

 

 

Mein letzter großer Spaßkauf sind drei Backenzähne inclusive Einbau. Ich hatte mir meine ersten Implantate größer und runder und auch nicht im Gesicht vorgestellt. Aber mein erstes Lifting, war in meiner Vorstellung mehr äußerlich. Sowas wie Lidstraffung oder so. Stattdessen wurde mein Gaumen, wegen Schnarchen geliftet.

Nun also die Implantate. Entzündete Wurzeln und durchgeknirschte Zähne (trotz sexy Beißschiene) führten zum Projekt „Zähne-raus“, folgender Backenzähne:  vorletzter jeweils oben rechts, unten links sowie unten rechts. Die Kosten für das Projekt „Zähne raus“ trägt die Krankenkasse. Bei dem Folgeprojekt „Zähne-rein“, darf ich die Kosten zu 90% selbst tragen, wenn ich nicht eine Zusatzversicherung habe (Jkleiner Werbeblock für Zahnzusatzversicherungen).

In meiner kindlichen Vorstellung, war ich, als Erwachsene ohne Furcht vor Zahnärzten (ich kenne noch Bohren ohne Betäubung) und Kieferorthopäden. Ich habe ein Trauma von zwei angenervten Kieferorthopäden-Helferinnen – die gewaltsam mehrfach hintereinander Zahnabdrücke, für die beliebte feste Zahnspange bei mir machten. Die grüne Glibbermasse war so großzügig auf das Abdruck-Metallteil aufgetragen, dass ich beim ersten Mal würgen mussten und den Abdruck versaute. Danach wurde ein größeres Abdruck-Metallteil genommen und noch mehr Glibbermasse. Es war total verrückt, aber ich würgt erneut. Wieder der Abdruck versaut. Wir drei wiederholten das Spiel in verschiedenen Variationen. Am Ende hielt mich eine von Ihnen mit beiden Armen nach hinten gedrückt fest und die andere rammte mit fürsorglich das Teil rein. Danke Mädels.

Mittlerweile gibt es Spritzen und Betäubungsgel für die Spritzeneinstichstelle und vermutlich auch ein Urteil vom europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dass Quälen im Mund-Kieferbereich verbietet. Also gehe ich  tapfer zum Zahnarzt und seinem kieferorthopädischen Kollegen. Letzterer sah sich die GRound Zeros in meinem Mund an, röntge und CTete alles und kam mit der freudigen Überraschung „Sie brauchen oben einen Knochen- und Kollagenaufbau bevor wir irgendetwas machen. Wollen Sie Rinderknochen oder lieber Knochen von Lebendspender:innen und übrigens das Kollagen wäre entweder künstlich – baut sich aber oft ab- oder vom Schwein.“ Lebendspender:innen, sind Menschen, meist Alte, die sich die Hüfte gebrochen haben und Metallersatz erhalten. Die Vorstellung von Teilen alter Menschen in meinem Gesicht fand ich gruselig und entschied mich für Rind. Und wenn ich schon Rind nehmen würde, könnte ich auch Schwein nehmen, dachte ich. Ich diskriminiere keine Tierrasse.

Die OP wurde geplant und ich gönnte mit für 100€ eine Dormicumnakose. Dormicum ist toll. Man vergisst fast alles. Vielleicht erinnert man sich noch an Teile. Ich erinnere mich, an ein sehr betrunkenes Aufwachen mit einem komplett betäubten Kiefer und entsprechenden Artikulationsproblemen.  Auf die Erklärung des Arztes:“ Wir hatten noch Zeit nach dem Knochenaufbau.“ Jetzt folgt wieder eine Erinnerungslücke. Irgendwas hat er noch im Unterkiefer gemacht. Ich hatte aber bei der Erklärung Knochenaufbau, direkt wieder an das Rind und das Schwein gedacht, dass ich nun zu Teilen in mir habe und freute mich an dem Gedanken, dass ich jetzt für immer gemischtes Hack im Kiefer habe. Fand ich witzig. Witze müssen direkt erzählt werden. Also versuchte ich das gemischte Hack, mit betäubten Lippen zu erzählen. Es hörte sich etwa so an: Icch hag getz genischtes Hack ing Gesiccht.“ Hatte er nicht verstanden. Mein Mann, der mich abholte lieferte die Übersetzung und der Zahnarzt lachte .... NICHT. Er erklärte erneut sehr wichtige Dinge, die ich vergessen habe. Ich schwankte noch zum Röntgen unter Begleitschutz vom Mann (rechts) und einem MTA-ler (links). Dann wieder zurück und dann ins Auto. Hier war mie sehr wichtig zu erklären, dass mit diesem betäubten Gesicht ein Kussmund unmöglich wäre, was ich mehrfach demonstrierte. Laut Aussage meines Mannes, musste ich dringend meine Kollegin anrufen, während er in der Apotheke war. Sie meint ich hätte sehr wirr von gemischtem Hack, fehlendem Kussmund und Mitleid mit Ihr, weil sie am nächsten Tag Arbeiten muss erzählt. Dann habe ich eine Threemanachricht an meine beste Freundin geschrieben: Ich bin asxglimm Schrank.

Als der Dormicumrausch weg war, waren gleich der Schmerz und die Hamsterbacke des Jahrhunderts da. Mit der Backe hätte ich Türsteherin in einer Hamsterdisco werden können. Ich hätte jedem Dünbacken-Hamster gesagt „ Mit dem Mickerbacken, kommst Du hier nicht rein“. Allerdings hätte ich hierfür die andere Backe nachpolstern müssen. Was mit Hamsterkäufen (Rolle Klopapier, Packung Fussili) gut machbar gewesen wäre.

Gestern war ich bei der Nachkontrolle. Alles fein. In sechs Monaten geht es weiter. Ich freu mich. Erwachsensein ist wirklich ein Leben voller Freude und Vergnügen.